Mühlenkultur in Holland
von Richard Brüdern 
(Fortsetzung Teil I)

Aber Hollands größtes Problem, die Entwässerung des tiefliegendes Landes, ließ sich mit dem drehbaren Gehäuse dieser Mühle technisch nicht lösen. So entstand in Holland zeitgleich mit der Bockwindmühle oder als Weiterentwicklung - darüber streiten sich die Gelehrten noch - ein zweiter Mühlentyp, die Kokerwindmühle. Das drehbare Gehäuse der Bockwindmühle wurde verkleinert und dient lediglich der Aufnahme des Getriebes von der Flügelwelle in eine senkrechte Welle, die bis in den feststehenden Unterbau reicht. Von hier aus kann die Windenergie auf ein Schöpfrad oder eine Wasserschnecke übertragen und so zur Landentwässerung genutzt werden.

Dieser Mühlentyp wurde, je nach Größe, mit den unterschiedlichsten Namen belegt, Kokermühle, Spinnkopfmühle, Wippmühle oder, wegen der schlanken Taille, Holländische Jungfer. Sie kann zu den ästhetisch schönsten Mühlentypen gezählt werden. Obwohl die Kokermühle auch zur Getreidevermahlung oder als Ölmühle genutzt wurde, war die Entwässerung Hauptverwendungszweck. Entwässerungsprobleme gab und gibt es auch in Deutschland im gesamten Nordseebereich. Der prozentuale Anteil des tief liegenden Landes ist in Holland jedoch ungleich größer. Außerdem liegt Südholland teilweise mehr als 5 m unter dem Meeresspiegel, während Deutschlands tiefste Landmarke in der Wilstermarsch lediglich 3,5 m unter Normalniveau erreicht.

Vom heutigen holländischen Mühlenbestand gehören ca. 40 % zu den Poldermühlen. An diesem Prozentsatz sind die Kokermühlen mit 105 noch vorhandenen Exemplaren beteiligt; gegenüber wenigen wesentlich kleineren Exemplaren in Deutschland. Welche Anzahl von Windmühlen zur Landentwässerung erforderlich war, mögen folgende Zahlen verdeutlichen:

In der Wilstermarsch nördlich von Hamburg, einem von Holländern im 12. Jahrhundert bedeichten Gebiet, standen noch Ende des vorigen Jahrhunderts 285 Kokerwindmühlen, von denen die letzte 1982 in Honigfleth restauriert wurde. Im westlichen Teil Ostfrieslands wurden noch Anfang dieses jahrhunderts 250 Wasserschöpfmühlen gezählt.

Holland verfügte um 1850 über ca. 9000 Windmühlen. Wenn das heutige Verhältnis von Poldermühlen zu sonstigen Mühlen auch damals so ähnlich gewesen ist, können wir vermuten, daß Holland in jener Zeit ca. 3700 Poldermühlen besessen hat. Die Kokerwindmühlen für die Landentwässerung haben in Holland beachtliche Größen erreicht. Mühlen mit 27 m Flügeldurchmesser sind keine Seltenheit. Mit 28,1 m Flügeldurchmesser gehört die Wingerdse Molen in Grafstroom zu den größten jemals gebauten Mühlen dieses Types. Mit ihrer farbenfrohen Bemalung unterscheiden sie sich wesentlich von den in Deutschland noch vorhandenen Exemplaren und symbolisieren die Liebe der Holländer zu ihren Mühlen.

Trotz der interessanten Konstruktion der Kokerwindmühle verbleiben als technische Nachteile, daß immer noch der gesamte obere Gebäudeteil in Windrichtung gedreht werden muß und der Mühlenkasten nur über eine außen liegende Treppe erreicht werden kann. Es lag somit in der Luft, daß findige Mühlenbauer - wiederum in Holland - versuchten, diesen Mangel zu beheben. So entstand ein dritter Mühlentyp, die Turmwindmühle, bei der lediglich die Kappe mit Flügelkreuz und Flügelwelle drehbar gelagert sind. Um 1400 finden wir in Holland die ersten Turmwindmühlen. Dieser Mühlentyp, zunächst in der Getreidevermahlung eingesetzt, ermöglichte es, im Gegensatz zur Bockwindmühle, die Vermahlungseinrichtung im statischen Gebäudeteil mit wesentlich größerem Raumangebot zu installieren. Ca. 150 Jahre später hat sich der massive Mühlenturm zum konischen Achtkant in Holzkonstruktion gewandelt. Bei der Exportmesse in Hannover wird jährlich ein Preis für gutes lndustriedesign vergeben. Lägen Blütezeit der Holländischen Windmühle und Exportmesse im gleichen Zeitabschnitt, so hätte dieser Mühlentyp ohne Zweifel einen ersten Preis verdient.

 

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Der KleiekotzerEin Magazin des Mühlenförderverein Lüneburg e.V.